Ausstellung
Innerspace – Complications may include…
Wie mit dem Teleskop oder Mikroskop scheint es aufgenommen, das runde Foto von gerade mal 7cm Durchmesser. Der technisch anmutende Metallrahmen verstärkt diesen Eindruck noch. Die faszinierenden Aufnahmen gehören zu der Serie „voyage, voyage“ von Tassilo Lantermann. Sie zeigen seltsame Farbschlieren, von pink-orange bis grau-grünlich, oder Blasen aus unbekannter Materie. Es gibt seltsame Formen, wie Gebirgsketten, vielleicht Marslandschaften und daneben dunkle Abgründe. Vom bloßen Betrachten scheint sich das Abgebildete nicht zu erklären, der Kopf versucht zu ergründen, was das Auge nicht begreifen kann. Zwischen dem Makrokosmos von stellaren Nebeln, unergründeten Unterwasserwelten oder aber einer mikroskopischen Welt hin und her schwankend, scheint alles möglich zu sein. Wo der Kontext fehlt, begeistern uns vor allem die abstrakt anmutenden Form- und Farbkompositionen.
Und doch wünschen wir uns Erklärung; was sehen wir, was haben Fotograf und Kamera gesehen? An dem Punkt wird es spannend: der Künstler hat sich selbst fotografiert. Das (fotografische) Selbstporträt ist ein eigenes Genre, das Tassilo Lantermann hier über die bisherigen Grenzen hinwegführt. Wesentlich ist bei dieser Serie, dass der Künstler sich und die Kamera näher zusammengebracht hat, als wir uns vorstellen können, und sich dennoch aus dem bildgebenden Prozess selbst rausgenommen hat. Die Bilder der Serie stammen aus den Videoaufzeichnungen einer sogenannten Pillcam. Diese wird normalerweise im medizinischen Bereich eingesetzt, um möglichst schonend Bilder vom Verdauungstrakt zu bekommen. Im Gegensatz zu anderen Methoden bleibt der Körper der untersuchten Person bei dieser Kapselendoskopie unverletzt. Die Pillcam ist tatsächlich eine winzige Kamera in Kapselform, die geschluckt wird und von ihrer Reise durch Speiseröhre, Magen und Darm bis zu 7 Bilder pro Sekunde macht und diese drahtlos an einen Recorder überträgt.[1] Dieser Reise trägt auch der Serientitel „voyage, voyage“ Rechnung.
Wer denkt da nicht spontan an die Zeichentrickserie „Es war einmal…“? Die Folge „Es war einmal … das Leben“ (1986) zeigte die geschrumpften Protagonisten auf der Reise durch den menschlichen Körper. Nur ein Jahr später gab es auch einen Hollywoodfilm, der unter dem Titel „Die Reise ins Ich“ (Originaltitel: Innerspace) die Reise in den Körper mit Dennis Quaid in der Hauptrolle eher als eine Art Abenteuerkomödie behandelte. Was einst wie reine Science-Fiction erschien, ist heute bereits fester Bestandteil der Diagnostik. Bildgebende Verfahren haben die Medizin und unser Verständnis von Körper, Krankheiten und biologischen Zusammenhängen stetig erweitert. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich die Röntgen-Technik, später kamen dann Computertomographie oder MRT dazu. Die Röntgen-Technik hat auch ihren Eingang in die Kunst gefunden, Katharina Sieverding – um nur ein Beispiel zu nennen – hat beispielsweise in ihrer Serie „Steigbild“ Schädelröntgenbilder mit Steigbildern – was einer Art Blutdiagnostik auf Papier entspricht – überlagert. Die diagnostischen Bildgebungsverfahren werden so hinterfragt ob ihrer Aussagekraft und ihrer Möglichkeiten über die medizinische Funktion hinaus.[2] Ähnlich verfährt Tassilo Lantermann; von dem Material, das die Kamera aufgenommen hat, wählt der Künstler, nachdem die Kamera seinen Körper wieder verlassen hat, Fotos aus und führt sie als Serie zusammen.
Die technischen Herausforderungen, mit denen die Pillcam konfrontiert ist, sind dabei grundsätzliche: Beleuchtung, Bildschärfe, Abstand zum Motiv, Bewegungsunschärfe und Blickwinkel. Auf all das hat Tassilo Lantermann aber keinen Einfluss, er bringt die Dokumentation durch die Bildauswahl in einen künstlerischen Kontext. Die Vorgehensweise scheint dabei entgegengesetzt zu den Arbeiten, die er sonst gemacht hat. Tassilo Lantermann baut Räume, „ganzheitlich erlebbare Raumatmosphären“. Mit seinem Background aus der Arbeit an Bühnenbildern und seinem Studium der Bildhauerei in der Klasse von Thomas Grünfeld an der Kunstakademie Düsseldorf schafft er begehbare Installationen, die die Räume transformieren oder von Grund auf neu erschaffen.
Wie passt das zu der scheinbar fremdbestimmten Fotoarbeit? Wir dürfen hierbei nicht vergessen, dass die Arbeit bereits mit der Entscheidung beginnt, die Pillcam zu schlucken. Tassilo Lantermann setzt den eigenen Körper sowohl als Medium als auch als Motiv ein. Er setzt sich durchaus auch Risiken aus, denn wie der Hersteller im Kleingedruckten anmerkt: „Complications may include but are not limited to: capsule retention, aspiration, obstruction, perforation, mucosal injury, and bleeding.“[3] (Zu den Komplikationen können unter anderem gehören: Kapselretention, Aspiration, Obstruktion, Perforation, Schleimhautverletzung und Blutungen.) Das Ganze ist also zunächst eine performative Herangehensweise, die dann in Bildmaterial mündet, aus dem der Künstler eine Auswahl trifft. Diese Auswahl fand unter kompositorischen und ästhetischen Kriterien statt, wobei er immer wieder am Bildschirm einzelne Bilder miteinander verglichen und gegeneinander abgewogen hat. Schließlich fand er zu einer Auswahl von 158 Stück, die zunächst alle auf einem silbernen Metallic Papier ausgedruckt wurden. Für die Ausstellung fand eine erneute Selektion statt, nach der dann die Fotografien einzeln gerahmt wurden. Durch das Display im spezifisch auf das Bildformat angepassten Metallrahmen bringt er sie als bildhauerische Objekte in den Raum – von dem intimen, ureigenen Körperinnenraum werden sie nun in den öffentlichen Raum überführt.
Wahrscheinlich haben wir nach der anfänglichen Faszination über die Farben, die Kompositionen, und die seriellen Objekte durch das Wissen um den Entstehungsprozess zu einer etwas veränderten Haltung gefunden. Die Herkunft der Bilder beeinflusst unsere Wahrnehmung. Das kann einerseits die Faszination über das Unbekannte und zuvor Ungesehene sein, das kann sich aber auch in Verwirrung und Schauder äußern. Wir sehen unseren (und auch fremde) Körper nie von Innen – im Gegenteil, unser Gehirn reagiert auf Blut und Wunden oft mit Abscheu oder gar Angst. Es ist nur zu verständlich, denn wenn wir derartiges sehen, ist etwas mit unserem Körper eindeutig nicht in Ordnung. Im besten Fall sehen wir also nie unseren Körper von Innen. Unser Körperinneres ist uns tatsächlich so fremd und so fern für uns wie Sternennebel. Und so scheint der der Originaltitel des Filmes von 1987 als Beschreibung für die Seherfahrung sehr passend: Innerspace, als Gegensatz zu Outerspace, dem Weltall. Beides ist gleichermaßen unerreichbar, unbegreiflich – und auf bizarre Art schön.
Ines Rüttinger
[1] https://www.medtronic.com/covidien/en-us/products/capsule-endoscopy.html
Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf