10/04 – 14/04/2024
Projektbüro DFI e.V.
Ausstellung
Eiskellerberg 1-3
40213 Düsseldorf
Eröffnung:
MI von 18–21 Uhr
Öffnungszeiten:
DO – SO von 15–19 Uhr
Simon Lehner, Intro Scene I (Family Gathering), 2023, Acryl auf Schaumstoffplatte (Unikat) – linsenbasiertes CNC-Bild, 200 x 200 cm, De Stasio Collection, London, Courtesy: KOW Berlin.
Auch wenn der Begriff “Echo chamber” kein Phänomen beschreibt, das ausschließlich innerhalb von Social Media Plattformen stattfindet, so assoziieren wir die daran anknüpfenden Problematiken vorwiegend mit der Sphäre des Digitalen. Die Bedeutung des Begriffs lässt sich als eine Dynamik innerhalb eines hermetischen Raums beschreiben, in dem das Immergleiche miteinander resoniert, sich gegenseitig bekräftigt und potenziert. Die Geschlossenheit des sozialen Raums wird im Falle von Social Media durch ein algorithmsches Systems erzeugt, welches diejenigen Informationen unterdrücken, die einen Bruch innerhalb der kohärenten Logik erzeugen könnten.
Die sich wiederholenden Figuren, die Simon Lehners Bilder, Videos und Skulpturen bevölkern, scheinen aus einem solchen „Echoraum“ zu kommen. Der sich selbst befeuernde Algorithmus schwillt hierin zu einem neurologischen Albtraum an, in dem alle Gesichter gleich sind und zu befremdlich lachenden Masken verzerren.
Obgleich im Vordergrund der Arbeit des Künstlers die Auseinandersetzung mit digitalen Bildprozessen sowie die Betrachtung psychologischer und physiologischer Konstituiertheit des zeitgenössischen Selbst stehen, basiert Simon Lehners Schaffen auch auf privaten sowie öffentlich zugänglichen Fotoarchiven. Auf diese greift er zurück, wenn er seine Charaktere digital entwickelt. Die fiktionalisierten Biografiebezüge, die sich hieraus ergeben, fließen innerhalb seiner Arbeit visuell in die virtuelle Welt von Instagram und Tik Tok ein. In der Verbindung wird die Verflachung des Ichs und die Auflösung des Privaten zur Diskussion gestellt, die traumatischer Endpunkt einer durchkommerzialisierten und das Immergleiche hervorbringenden, fotobasierter Bildproduktion im Sinne einer schablonenhaften, sich milliardenfach wiederholenden Selbstdarstellung ist.
Simon Lehner wurde 1996 geboren und lebt und arbeitet in Wien. Sein Werk verbindet klassische Fotografie, digitale Produktionsformen und Malerei miteinander. Simon Lehner wurde mit Preisen wie u.a. FOAM Talent 2021 und Ö1 Talentfund 2020 ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden in Einzelausstellungen präsentiert, zuletzt in MY MOUNTAIN HAS NO SUMMIT (KOW Berlin 2023/24), Simon Lehner (Kunstpalais Erlangen 2023), I'm A Liar, but A Good One (Christine König, Wien 2021) und in Gruppenausstellungen wie yours truly (Museum Morsbroich, Leverkusen 2023), Zeit (Kunsthaus Zürich 2023) und Expect The Unexpected (Kunstmuseum Bonn 2023).
AUSSTELLUNGSANSICHTEN
& INTERVIEW
Lass uns mit einer grundlegenden Frage beginnen: Mit welchen Themen setzt du dich in deiner Arbeit auseinander?
Meine Arbeiten drehen sich thematisch immer um den Begriff der Identität. Besonders interessiere ich mich aktuell für die Konstruktion männlicher Identität. Die Auswirkungen sogenannter toxischer Männlichkeit bilden den Grundton meiner letzten Werkgruppen. Ich untersuche, wie sich Männlichkeit in den Bildern, die uns umgeben, manifestiert und wie sie sich als eine Art Ideologie verbreitet. Dabei frage ich mich, welche psychologischen Effekte und Folgen das für uns als Individuen hat. Angst und Trauma spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle.
In welchen Bereichen unserer Gesellschaft würdest du sagen, dominiert ein männlich geprägter Blick noch heute?
Meine Arbeiten drehen sich thematisch immer um den Begriff der Identität. Besonders interessiere ich mich aktuell für die Konstruktion männlicher Identität. Die Auswirkungen sogenannter toxischer Männlichkeit bilden den Grundton meiner letzten Werkgruppen. Ich untersuche, wie sich Männlichkeit in den Bildern, die uns umgeben, manifestiert und wie sie sich als eine Art Ideologie verbreitet. Dabei frage ich mich, welche psychologischen Effekte und Folgen das für uns als Individuen hat. Angst und Trauma spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle.
Glaubst du, dass wir durch die Weiterentwicklung von Open-Source-Programmen die Möglichkeit haben, die digitale Bilderwelt diverser und vielschichtiger zu gestalten?
Das Problematische liegt oft unter der Oberfläche und wird deshalb leicht übersehen. Wir neigen dazu, KI-Systeme als neutral wahrzunehmen, weil wir sie mit kalten, sterilen Prozessen verbinden. In Wahrheit aber werden sie von Menschen programmiert – Menschen, die allzu häufig einen männlich geprägten Blick auf die Welt haben. Dadurch gehen uns viele Perspektiven verloren. Dabei betrifft das nicht nur genderspezifische Fragen.
Eine gute Analogie bietet die Entwicklung der ersten Farbfilme von Kodak in den 1940er-Jahren. Damals war es nahezu unmöglich, People of Colour korrekt abzubilden, weil die Farbkalibrierung ausschließlich anhand weißer Gesichter vorgenommen wurde. Auch diese Technologie wurde ausschließlich von weißen Männern entwickelt. Heute stehen wir vor einer vergleichbaren Herausforderung.
Lass uns über die formalen Aspekte deiner Arbeit sprechen. Du kommst eigentlich aus der Fotografie, auch wenn du nicht selbst fotografierst. Du bedienst dich bereits existierender Bilder, aus denen du neue Figuren und Umgebungen erschaffst. Mit KI hat deine Arbeitsweise aber nur entfernt zu tun.
Es ist immer schwer, das zu erklären, weil viele sofort annehmen, dass ich mit KI arbeite, sobald das Wort „generiert“ fällt. Dann sagen die meisten: „Ah, du tippst also etwas ein und das Bild kommt raus.“ Aber so funktioniert es überhaupt nicht. Im Gegenteil. Man kann sich das eher so vorstellen: Ich besitze einen großen Pool an Daten und Bildern, mein persönliches Archiv. Dieses Archiv besteht zum Teil aus Foto- und Videomaterial, das meine Mutter und Großmutter während meiner Kindheit gemacht und gesammelt haben. Aus den VHS-Tapes habe ich jeden einzelnen Frame als Videostill herausgerendert. Zusätzlich enthält es Bildmaterial, das im kollektiven Gedächtnis verankert ist.
Aus diesem Bildarchiv wählst du Fotografien aus, die du zu neuen Bildern zusammenstellst – ähnlich wie KI-basierte Open-Source-Programme es tun?
Im Prinzip ja. Das Verfahren ist ähnlich, aber bei mir ist es manuell. Ich wähle Bilder aus meinem persönlichen Archiv aus und baue daraus neue digitale, dreidimensionale Umgebungen, Formen, aber auch physische Bilder, Skulpturen oder Animatroniken. Jedes Haar wird dabei händisch gesetzt. So arbeite ich seit 2018. Zu dieser Zeit gab es zwar schon KI-basierte Programme, aber das Thema war noch nicht im Mainstream angekommen. Niemand ahnte, dass diese Technologie unsere Welt innerhalb von nur sechs Jahren komplett verändern würde.
Wenn nicht KI-Prozesse dich an dieser Arbeitsweise reizen, was ist es dann?
Die Arbeit mit meinem Archiv spiegelt den Prozess der Erinnerung als kognitive Leistung wider. Das hat mich immer interessiert: Wie speichert unser Gehirn Erlebnisse ab? Wie verwandelt es sie in Wissen? Wie arbeiten Bilder in unserem Unterbewusstsein? Ich sehe mein Archiv als eine Art Building Block, um diesen Fragen nachzugehen.
Erinnerungen sind nicht statisch, wir arbeiten mit ihnen, passen sie an unsere gegenwärtige Situation an. Sie werden durch äußere Reize beeinflusst. Wenn wir ein Trauma erleben, entsteht eine Art Feedbackschleife, ein Loop, bei dem ein tragisches Ereignis immer wieder abgespielt wird. Unser Gehirn verliert die Flexibilität, mit den Erinnerungen zu arbeiten. Ich stelle mir das so vor, dass Informationen innerhalb eines geschlossenen Raums immer wieder gegen die Wände prallen, sich auf diese Weise beschleunigen und potenzieren. Vielleicht ahnst du schon, dass ich auf den Titel deiner Ausstellung Echo Chambers hinauswill. Wie definierst du den Begriff im Kontext deiner Arbeit?
Echo Chamber ist ein zentraler Begriff in meiner Praxis. Zunächst einmal beschreibt es den Prozess mit einem bestehenden Archiv zu arbeiten, weil der Prozess auf einer hermetischen Geschlossenheit basiert. Noch wichtiger ist jedoch die inhaltliche Ebene, auf der der Begriff eine wesentliche Rolle spielt. In meiner Arbeit steht die dargestellte Familie auch für eine Art Echo Chamber.
In der Ausstellung wird das besonders im Familienporträt Intro Scene I (Family Gathering) von 2023 sichtbar. Hier sehen wir eine Darstellung einer siebenköpfigen Familie, über die sich das Disney-Logo legt. Es ist als Relief gestaltet, das dreidimensional aus der Bildfläche hervorragt. Die monochrom gehaltenen Familienmitglieder, deren Gesichtszüge und Mimik sich stark ähneln, sind verzerrt dargestellt. Sie scheinen sich im digitalen Bildbearbeitungsprozess aufzulösen. Die Ähnlichkeit hat etwas Unheimliches, fast Inzestuöses. Auch hierin zeigt sich eine Art Geschlossenheit und das Fehlen äußerer Einflüsse.
Noch mehr. Das Bild stellt einen Reality-TV-Kontext dar, in dem es um die vermeintliche Selbstinszenierung geht, die mit gleichzeitiger Selbstausbeutung und dem Verlust der Individualität zugunsten der Selbstkommerzialisierung einhergeht. Das finde ich einen spannenden Moment. Denn die Protagonist:innen solcher Sendungen glauben oft, sie hätten ihre Selbstinszenierung selbst in der Hand. In Wirklichkeit aber sind es die Regisseur:innen, Produzent:innen und Editor:innen, die die absolute Kontrolle über das Narrativ ausüben. Sie sind nicht an individuellen Geschichten interessiert, sondern an der Anwendung eines bereits festgeschriebenen, funktionierenden, kommerziell erfolgreichen Rezepts. Das heißt, die Protagonist:innen dieser Shows sind auch in einer Box gefangen.
Das Motiv der Show setzt sich in Form einer Castingsituation in der Installation Worldfamous (Iteration I) fort, die ebenfalls Teil der Ausstellung war. Im Zentrum der Installation steht ein schwerer Metalltisch, der mit hellgrauem Silikon überzogen ist. Ein Gesicht, ebenfalls aus demselben Material, das den Gesichtern auf den Bildern sehr ähnlich sieht, ist daraus modelliert. Solche Sitzgelegenheiten kennt man aus Filmen, die an US-Highschools, Colleges oder US-Gefängnissen spielen. Auch Teil der Installation sind fünf Screens, auf denen Videos eines obskuren Castings laufen. Der Protagonist nimmt ein sogenanntes Selftape auf, bei dem er immer wieder und mit zunehmender Intensität das Wort „Worldfamous“ schreit. Was hat es mit dieser Arbeit auf sich?
Die Situation ist, wie du schon sagst, ein vermeintlicher Schauspieler, der einen Casting oder Audition-Tape Prozess zu einer Reality-TV-Show aufnimmt. Der Ruhm ist sein Selbstzweck. Im Kontext dieses Castings sehe ich mich selbst in der Rolle des Regisseurs – also auch als eine machtvolle, nicht unbedingt gute oder vertrauensvolle Instanz. Ich habe die Kontrolle über diese Figur. Ich kann jede Muskelbewegung steuern, jede Geste, jede Emotion. Die Figuren, die ich entwerfe, sind meine Marionetten. Und mehr noch: Sie sind so angelegt, dass sie im Grunde nur aus einer dünnen Schicht Bildmaterial bestehen. Diese dünne Schicht faket einen Körper. Der Körper selbst ist eine hohle, fleisch- und inhaltslose Hülle.
Also entsteht auch zwischen dir und der Figur ein geschlossener Raum. Du arbeitest ja nicht mit einem Individuum, das sich in den Prozess einbringt, wie Schauspieler:innen es normalerweise tun.
Das stimmt, obwohl ich diese Familie im Prinzip aus meinem Bildarchiv heraus „gecastet“ habe. Gleichzeitig haben alle Figuren viele Anteile von mir. Aber mein Archiv beruht, wie bereits gesagt, auch auf Bildern, die aus einem kollektiven, nicht-familiären Kontext stammen. Der Vater trägt zum Beispiel Züge von Michael Douglas. Die Tochter ist nah an Kendall Jenner angelehnt. Sie ist eine direkte Referenz auf die erfolgreichste Scripted-Reality-TV-Show The Kardashians. Die Söhne haben das Aussehen von Tech-Bros gemischt mit Patrick Bateman. Das stellt die Verbindung zum Thema Toxic Masculinity her.
Aber da stimmt noch mehr nicht, nicht nur ein überholtes Bild von Männlichkeit.
Die Figuren wirken zwar irgendwie glatt, aber man ahnt, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Irgendetwas ist verrutscht. Vielleicht ist es nur ihr starres Grinsen, das sie fake erscheinen lässt. Aber es ist auch die Familienstruktur an sich, diese konservative Präsentation einer im konservativen Sinne heilen Welt, die man nach außen trägt, wie in der Nixon-Ära, also in den 1950er- und 1960er-Jahren. Interessanterweise besteht die Dramaturgie von Reality-TV-Shows darin, dass genau dieses Bild, das sie zu Beginn kreieren, kollabiert, wenn man lange genug draufhält. Die Leere der Figuren wird in den Videos durch die eingespielte Werbung unterstrichen. Die Protagonist:innen haben nichts – keinen Körper, keine Organe, nichts. Ihr Konsum konstituiert sie. Diese Sourced Commercials, die zwischen den Audition-Tapes als verfrühte Werbeunterbrechung eingespielt werden, verweisen auf menschliche Aspekte: die McDonald's- und Knorr-Werbung steht für Essen, Verdauung und so weiter, aber auch für nährwertarme Instantnahrung und Fast Food. Ganz banal gesagt, stellt sich so die Referenz zwischen Hülle und Inhalt her.
Und wie steht das im Zusammenhang mit dem Verlangen nach Weltruhm?
Der Wunsch nach Erfolg kommt selbstverständlich aus meiner persönlichen Erfahrung. Am Anfang meiner Laufbahn als Künstler war ich verbissen ehrgeizig. Ich wollte unbedingte der jüngste Beste sein. In der Kunstwelt ist man zudem angehalten, unentwegt Leitern zu klettern. Beide Dynamiken verstärkten sich gegenseitig. In diesem Moment kam bei mir die Zusammenarbeit mit Balenciaga: Ich war bei einer der Shows in New York, habe Kanye West kennengelernt. Er wollte mit mir zusammenarbeiten. Ich glaube, an dem Moment bin ich etwas abgedriftet. Zum Glück bin ich da früh genug wieder rausgekommen. Wenn Kunst in einen kommerziellen Kontext gerät, funktioniert sie plötzlich anders. Dieser Teil der Kunstwelt, der in die Modewelt übergeht, ist extrem oberflächlich – auch wenn der damit einhergehende Erfolg zunächst einmal Sicherheit verspricht. Das tut er vor allem dann, wenn man aus keiner gehobenen Klasse kommt. Aber diese Art von schnellem Aufstieg ist auf Sand gebaut. So schnell er kommt, so schnell geht er auch. Und dann wieder zurückzufinden in die „normale“ Kunstwelt ist schwierig, oder fast unmöglich. Aber noch wichtiger ist, dass ich in dieser Logik nicht arbeiten will. Meine Arbeit, ihre Inhalte und das, was sie bewirken kann, sollte im Mittelpunkt des Interesses stehen. Den Erfolg einer Marke an erster Stelle zu setzen, das hatte damals für mich etwas von einem Abarbeiten an einer amerikanischen Kultur und ihrem Storytelling.
Woher rührt dein Interesse und die Beschäftigung mit der amerikanischen Kultur?
Es war lange ein Traum von mir, in die USA auszuwandern. Das habe ich wohl von meinem Vater, der stark von Filmen aus den 1980ern beeinflusst wurde – Terminator, Lethal Weapon, solche Filme, die harte, männliche Helden zeigen. Der ganze American Dream, eben.
Die Figur des Vaters spielt in der Arbeit Echo Chambers (Performance I) die Hauptrolle. Die Videoarbeit wurde im zweiten Raum der gleichnamigen Ausstellung zum ersten Mal gezeigt. Darin sehen wir einen erwachsenen Mann, der ekstatisch tanzt. Sein Oberkörper ist frei, seine Haut glänzt. In der einen Hand hält er eine Bierdose und in der anderen eine Zigarette. Im Hintergrund sehen wir Ausschnitte einer Turnhalle, die für eine Homecoming-Party oder einen Graduation-Ball dekoriert wurde. Alles passiert in Slow Motion.
Er ist mittendrin in diesem Highschool-Movie-Klischee und lebt es voll aus. Für mich geht es bei der Arbeit um psychologische Aspekte, die transgenerational vererbt werden – also um Wünsche oder Fantasien, die mein Vater unbewusst auf mich übertragen hat. Die Verknüpfung von meinem Vater und mir findet auch auf Produktionsebene statt: Die Bewegungsabläufe werden mithilfe eines Schauspielers, Nick Romeo Reimann, auf die Figur übertragen.
Ein sehr guter gemeinsamer Freund von uns beiden. Über ihn habe ich deine Arbeit kennengelernt.
Genau! Auf jeden Fall habe ich Nick „directed“ und ihm genau beschrieben, wie er sich bewegen soll. In dem Vater stecken also Bewegungsabläufe, die eigentlich meine sind und die Nick performt hat. Im Prinzip dirigiere ich hier meinen Vater in einer Situation, von der ich weiß, dass sie nur in seiner Vorstellung funktioniert: Das Leben in einer amerikanischen Bildwelt, die eben nur am Bildschirm existiert, und wo er als älterer Mann keinen Platz mehr hat. In der Arbeit erfülle ich ihm den Traum. Gleichzeitig lasse ich ihn absurd, weil deplatziert erscheinen. Für ihn ist es zu spät für eine Highschool-Party. Er ist zu alt, und sowieso sind schon alle nach Hause gegangen. Aber er ist in diesem Rausch und kann sich nicht daraus lösen. Er nimmt die Realität um ihn herum nicht wahr. Er ist in einem exzessiven, sogar manischen Zustand, der keinen Spaß mehr macht. Man könnte sagen, dass er von seinen Vorstellungen geleitet wird, die sich im Abgleich mit der Realität als verzerrte Trugbilder herausstellen. Wir als Betrachter:innen sehen das deutlich.
Für mich entfaltet die Abwesenheit der Highschool-Kids einen starken filmischen Sog. Es ist eigentlich nur ein Bild, aber es erzählt so unglaublich viel über diese Figur. Nicht nur sie, sondern die gesamte Umgebung ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet.
Das Video hat zwar mehrere Schnitte, aber nur zwei Perspektiven. Beide sind bewusst sehr filmisch, fast schon hollywoodesk gehalten. Die over-the-shoulder-Einstellung ist das beste Beispiel dafür.
Vor allem die Lichtsetzung und die Farbauswahl verleiht dem Video eine Dramatik. Gleichzeitig taucht das Violette und Rot die Szene in eine zärtliche Atmosphäre. Wir sehen die Haut, die Haare aus großer Nähe. Der Regisseur bzw. der Künstler erlaubt uns einen intimen Blick. Die Vaterfigur bekommt auf diese Weise etwas Verletzliches, ohne aber die Aggressivität zu verlieren, die gleichzeitig von ihr ausgeht. In dieser Person steckt auch das Motiv der Sucht, das ein krankhaftes Festhalten am intensiv gelebten Moment markiert, obwohl die Party schon längst vorbei ist.
Das kann schon sein. Das ist eigentlich der perfekte Schlusspunkt, oder? (lacht)
Das denke ich auch. Wir haben schon viel zu lange geredet und ich könnte noch ewig weitersprechen. Aber an diesem Punkt, danke ich danke dir sehr herzlich für das Gespräch.
Das Gespräch zwischen Simon Lehner und Ania Kołyszko fand am 5. Juni 2024 via Zoom und im Anschluss an die Ausstellung SIMON LEHNER: ECHO CHAMBERS statt.
–
www.simon-lehner.com
Kuratiert von Ania Kolyszko
Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf