TP_STORY_01
Collier Schorrs Lecture Performance
After the After (August in Germany)
Text: Ania Kolyszko
Es ist ein warmer Frühsommertag. Der Nachtclub Salon des Amateurs, das geschichtsträchtige Wohnzimmer der Düsseldorfer Kulturszene, füllt sich langsam mit Menschen. Akademiestudierende, Künstler*innen und andere Kulturschaffende tummeln sich auf der Terrasse und nehmen langsam auf den Sofas Platz, um in privater Atmosphäre einem Vortrag der international renommierten Fotografin Collier Schorr beizuwohnen. Es wird viel geredet. Die Stimmung scheint auf den ersten Blick gelassen. Die gesellschaftlichen Einschränkungen und mit ihnen die soziale Distanz, welche die Corona-Pandemie mit sich brachte, sind beinahe vergessen. Doch an ihre Stelle tritt der Schock über den russischen Angriff auf die Ukraine. Wieder herrscht bei genauerer Betrachtung eine unterschwellige Zögerlichkeit, die der Komplexität einer politisch unüberschaubaren Situation geschuldet ist. Wie kann die deutsche Kultur auf einen gerade entfachten Krieg in Europa reagieren? Wie kann man Diskursräume öffnen, in denen man davon absieht, nicht mehr und nicht weniger zu tun, als die Bilder von Krieg, Tod und Zerstörung zu reproduzieren? Wie kann Kunst eine vereinfachendes Narrativ überwinden? Und überhaupt, wie schafft man es aus der sicheren Distanz, in der wir alle uns hier und jetzt, an einem warmen Tag im Juni im Salon des Amateurs befinden, über die Geschehnisse zu sprechen ohne redundante Worthülsen zu kreieren? Das sind die Fragen, die vor dem Beginn des Gespräches kursieren.
In diese weltpolitische Situation hinein veröffentlicht Collier Schorr eine Publikation mit dem Titel „August“. Die 1963 in New York geborene, lebende und arbeitende Künstlerin nimmt in dieser Publikation Bezug auf eine Gruppe von Porträts, die August Sander während des Zweiten Weltkriegs von Soldaten machte. In Schorrs Buch lässt sie sehr junge und sehr attraktive Männer in Uniformen posieren. Spielerisch nehmen sie aus ihrer privilegierten, westlichen Haltung heraus die Rolle von Soldaten ein. Es ist eine Art naives Reenactment, in Form eines kindlichen Kriegsspiels. Collier Schorr inszeniert in ihrem Buch eine rührend jugendliche Zartheit, die sie nah an ein Gewaltpotenzial rückt, das von den Körpern ausgehen, vor allem aber über sie hereinbrechen könnte. Damit bringt sie ihrem Publikum die Idee näher, dass diese unbekümmerten und freien Menschen unter anderen politischen Umständen zu Kriegsmaterial werden könnten. Ihre Fotografien zeigen eindrucksvoll, wie Individuen durch die sie umgebenden gesellschaftlichen Umstände geformt werden. Und sie sprechen über die Ikonisierung und Sexualisierung von Soldaten, sehen die dargestellten Männer durchweg aus wie Fashionmodels, die sich in verführerische Posen werfen. Das Kriegsspiel wird zu einer romantisierten Geste, wie sie auch in unserer Gegenwart wieder zunehmend sichtbar und fühlbar wird. Die Bilder hinterlassen trotz – oder gerade aufgrund – ihres großen, ästhetischen Potenzials einen bitteren Nachgeschmack.
Die Lecture Performance von Collier Schorr, an die eine lange Frage- und Antwortrunde anschließt, findet über Zoom statt. Auch das ist Teil der neuen Realität am Endpunkt der Corona-Pandemie. Ein Beamer projiziert die Übertragung auf eine große Leinwand, vor der jetzt alle platzgenommen haben. Die Fotografin erscheint im legeren Outfit, als hätte sie gerade ihr Studio verlassen und würde alle Zuschauenden im entspannten Ambiente ihrer privaten Wohnung empfangen. Ein Weltstar zum Anfassen, ohne Allüren und ohne Hemmungen in ihren Vortrag auch persönliche Geschichten einzubinden, auf die ihre künstlerischen Fotoarbeiten fußen.
Collier Schorrs Interesse für die deutsche Fotografie- und Kunstgeschichte, aber auch für die deutsche Vergangenheit im Allgemeinen kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist sie Jüdin. Sie ist in NY geboren, aber ihre Eltern stammen aus Deutschland. Ein Teil ihrer Familie, wie ihr Cousin, den sie 1992 für eine Serie portraitierte, lebt immer noch hier. Zu ihrem Bezug zu Deutschland sagte sie mal in einem Interview:
„Ich hatte diese Vorstellungen vom modernen Westdeutschland. Es war still. Es war leer. Die Figuren waren klein, oder es waren Kunststudenten, die vor farbigen Papierquadraten aufgereiht waren.Was ich in den Arbeiten von Andreas Gursky und Thomas Struth und Thomas Ruff sah, war irgendwie perfekt, organisiert, statisch, luftleer.“ [1]
Auch jetzt spricht Collier Schor wieder über diese Bezüge. Sie erzählt über die Notwendigkeit ihre Arbeit sowohl in der Modeszene als auch in der Kunstwelt stattfinden zu lassen. Vor allem, weil sie sich in der Fashionfotografie schnell etablieren konnte. Die Kunstwelt habe lange nicht verstanden, dass ihre künstlerischen Arbeiten gerade mit der Düsseldorfer Fotoschule viel zu tun haben, dass sie sich für die Vereinbarkeit der beschriebenen Leere und der Auseinandersetzung mit (vor allem) deutscher Geschichte interessiere und dass sie die Konzeptualität von Bernd und Hilla Becher und ihren Schülerinnen und Schüler weiterdenke, indem sie versuche den Menschen, das Gefühl und geschichtliche Bezüge in ihre Arbeiten zu integrieren. Aus dieser Untersuchung heraus erwächst eine jüdische, aber auch queere Perspektive auf Deutschland und die deutsche Fotogeschichte, die bis heute unterrepräsentiert ist. Mit diesen Überlegungen ist Schorr vollends im Salon des Amateurs angekommen, trotz des Ozeans, der zwischen ihr und dem Publikum liegt.
Collier Schorrs Ausführungen über das Soldatenspiel treffen den Nerv der Zeit und reflektieren die Situation, in der wir uns befinden. Weit entfernt von den Frontlinien, die sich in diesem Moment durch die gesamte Ukraine und somit durch Europa ziehen, entpuppen sich unsere Vorstellungen als mitunter oberflächliche Spekulationen über den Krieg. Was wir stattdessen tun können, so wird deutlich, ist unsere eigene Position/en zu reflektieren. Denn Kunst kann ein probates Mittel sein, Ambivalenzen in Bildwelten sichtbar zu machen und Dinge darzustellen, für die uns noch die Worte fehlen.