Klasse Simon Dybbroe Møller an der Königlich Dänischen Kunstakademie mit Manuel Graf
The Cave & The Cloud, 2024
81 Dias und Ton, 20:40 min.
Die Klasse von Prof. Simon Dybbroe Møller an der Königlich Dänischen Kunstakademie mit Manuel Graf
Victor Vejle, Martin Hasfeldt, Mikkeline Daae, Maria Lindeblad, Sylvester Vogelius, Adam Varab, Tea Eklund Berglöw, Sofus Keiding-Agger, Peter Palluth, Christine Dahlerup, Theodor Nymark, Erik Hjørnevik, Ava Samii, Lukas Danys, Andreas Hatt and Erdal Bilici
Sound: Titus Maderlechner
Stimme: Erik Hansen
„Fast könnte man sie nicht als ‚Werke‘, sondern als ‚Momente‘ der Kunst bezeichnen.”
– André Malraux, Das imaginäre Museum (1947)
Heinrich Wölfflins 1897 erschienene Abhandlung Wie man Skulpturen aufnehmen soll war eine Art Leitfaden mit Instruktionen zur „richtigen“ und „falschen“ Reproduktion von Skulpturen. Wölfflin favorisierte darin Frontalansichten und silhouettenartige Formen. Diese Auffassung einer korrekten fotografischen Darstellung hat sich zunehmend durch die Verbreitung von Online-Blogs und -Plattformen manifestiert, wobei Bilder auf Contemporary Art Daily und dessen Abkömmlingen dieselben räumlichen und formalen Vorstellungen vom „guten Bild“ stetig wiederholen. Heutzutage werden Kunstwerke und Ausstellungen häufig mit solch einem fotografischen Abbild im Kopf produziert. So existiert heute alle Kunst in einem Schwebezustand zwischen den flachen Bildern und digitalen Daten, die vor, während und im Nachhinein in jedes Kunstwerk hineinwirken, und dem verkörperten physischen Kontext von Kunst – ihren Räumen, ihren sensorischen Informationen, ihren Grenzen.
1947 analysierte der französische Schriftsteller, Kunsttheoretiker und Kulturminister André Malraux, dass die Verbreitung fotografischer Reproduktionen von Kunst und Kulturgütern das Museum in seiner Natur unzulänglich mache. Kein Museum könne jemals die "universale Welt der Kunst" beherbergen, da diese inzwischen Phänomene umfasse, die alle Koordinaten von Raum und Zeit durchdrungen haben. Er schlug vor, dass wir alle unser eigenes imaginäres Museum entwickeln – eine Zusammenstellung in unseren Köpfen, die für jeden Betrachter einmalig ist. All diese durch die Fotografie von ihrem Kontext losgelösten, abstrahierten und vereinheitlichten Dinge konnten nun verglichen, kontrastiert, ausgetauscht, ersetzt und bewertet werden. Zudem wäre jede körperliche Begegnung in diesem enzyklopädischen Archiv von Bildern bereits vermittelt. Heute wissen wir, dass dies der Wahrheit entspricht. Es ist trivial zu behaupten, dass niemand in der Lage ist, sich alles persönlich anzuschauen. Der überwiegende Großteil der Kunst, die wir erleben, besteht aus Installationsansichten, Repros und Details, die uns beim endlosen Scrollen auf unseren Smartphones begegnen. So sehr wir auch auf das Dasein und die sinnliche, physische Erfahrung des Museumsbesuchs weiterhin bestehen, so bleibt er doch durch fotografische Ansichten vereinnahmt.
Die vorherrschenden Topoi in der Geschichte der Museumsarchitektur haben meist bestehende Räume imitiert oder so gestaltet, um Entwicklungen in der Kunst zu spiegeln: von der palastartigen Villa (die das Private zum Öffentlichen machte; als Symbol des Staates und dessen Fantasien), über den Tempel (die Säkularisierung des Sakralen, die Sakralisierung des Alltäglichen), das Lagerhaus/Fabrikgebäude (als Zeichen einer sich verändernden Idee von Arbeit), bis hin zum umfunktionierten Arsenal (das das Museum mit Krieg verquickt). In der Moderne wurden diese Räume zunehmend entleert und standardisiert, was zu unzähligen Variationen des sprichwörtlichen White Cube führte: der idealisierte und universelle Egal-Raum der Gegenwartskunst, befreit von weltlichen Einflüssen und Ausprägungen. Einst ein Appell an die Autonomie der Kunst, machte dies den Ausstellungsraum zur neutralen Kulisse. Eine Kulisse, die es jedem Werk ermöglicht, zu einem isolierten Bild zu werden, das mit jedem anderen unendlich austauschbar ist, und die den Galerieraum des Universalmuseums – „zeitgenössische Kunst“ genannt – in jede Ecke der Welt ausdehnt. Diese Standardisierung und das unendlich wachsende, allgegenwärtige Archiv von Fotodaten des digitalen Kapitalismus hat kein „Museum ohne Wände“ geschaffen (wie Malraux’ Konzept oft fälschlich ins Deutsche übersetzt wird), sondern eine endlose weiße Fläche, eine einzige Wand ohne Grenzen.
Beim Entwurf des Museums Abteiberg in den 1970er Jahren ging der Architekt Hans Hollein gegen diese Tendenz vor, indem er eine multidimensionale Konfiguration von Räumen mit unterschiedlichen Volumina schuf, die eine „bewusst inszenierte Korrespondenz zwischen Raum und Kunstwerk“ herstellt. Das Museum ist ein Sucher, ein Rahmungs-Apparat, der unvorhergesehene, verkörperte und subjektive Begegnungen erzeugt. Zwar sind die Räume einmalig fotogen, doch sie durchbrechen und unterlaufen die Konventionen der Kunstdokumentation, indem sie stets auf ihre eigene Präsenz bestehen und die Bilder durchdringen. Während die meiste Ausstellungsarchitektur bloßer Diener der Fotografie ist, bleibt dieses fragmentierte und eigenwillige Gebäude ein Mysterium.
Hollein beschrieb das Konzept des Museums Abteiberg als ein „Abenteuer“. Und wie vermittelt man traditionell ein solches Abenteuer? Durch eine Diashow, jene proto-cinematischen Schleifen von isolierten Standbildern, die in Amateur-Reiseberichten und im Kunstgeschichtsunterricht verwendet wurden. THE CAVE AND THE CLOUD ist eine solche Diashow samt Erzählung, durch eine digitale Reproduktion des Museums Abteiberg. Eine Gruppe von Künstler*innen hat Werke geschaffen, die sowohl auf die vermittelten physischen Räume der digitalen Umgebung, als auch auf die Geschichte und die Räume des Museums reagieren. Die spekulativen und projektiven Möglichkeiten der computergestützten Modellierung strapazierend, schuf Manuel Graf hierfür ein getreues 3D-CGI-Modell des Museums Abteiberg, in das die anderen Künstler*innen ihre Werke platzierten. Solch ein digitales Double wird zunehmend von Künstlern und Ausstellungsmachern genutzt und ermöglicht es, fotografische Blickwinkel vor der eigentlichen Installation festzulegen, sodass sich die Ausstellung selbst zur Reproduktion hin wandelt.
THE CAVE AND THE CLOUD ist eine Reise in die Vergangenheit, ein Streifzug durch die komplexe Struktur unserer physischen und mentalen Museen: den Lebensraum der Kunst. Jedes der Kunstwerke unterstreicht das Geheimnisvolle des Museums Abteiberg und stellt überspitzt dar, wie seine nicht-linearen Entdeckungspfade Game-Design und filmische Klischees vorwegzunehmen scheinen. Während einige Interventionen die Logiken von Wiederholung, Maßstab und Weltenbau im Modell selbst ausnutzen, versetzen oder spiegeln andere architektonische Logiken von einem Ort zum anderen, kontaminieren den Raum mit materiellen Fantasien oder durchlaufen die Beziehungen zwischen Bildern, Objekten und Sprache. Durch die Verschmelzung von architektonischem und fotografischem Repräsentationsraum stellt der Rundgang den Status der Ortsgebundenheit heute auf die Probe. In der Präsentation beklagt der Erzähler den Niedergang des Museums, seinen fortschreitenden Verfall aufgrund des technologischen Wandels, und hält Holleins Entwurf für das „letzte wirklich neue Museum für zeitgenössische Kunst“, da er die wirkliche Präsenz und die subjektive Erfahrung hervorhebt. Der Anachronismus des physischen architektonischen Raums wird mit dem universellen, allumfassenden, imaginären Museum, dem Internet, entgegengesetzt – jenem unendlichen Raum der Korrespondenzen und Bilder, den wir alle in unseren Händen halten und aus dem wir schöpfen. Vielleicht ist das Museum nicht verschwunden oder obsolet, aber seine Rolle in der Kunst hat sich zweifellos verändert. Es wurde von der Fotografie verschlungen und zum Hintergrund für Bilder degradiert. Wir finden uns nicht in einem Museum ohne Wände wieder, sondern inmitten einer Fülle von Oberflächen, die selbst von Zeit, Raum und Realität unbeeinflusst sind.
Über The Cave & The Cloud
Seit 2019 untersucht die School of Sculpture an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen unter der Leitung des Künstlers Simon Dybbroe Møller die Beziehung zwischen dem Gewicht der Dinge und der flachen Logik des fotografischen Bildes, indem sie die Welt durch spezifische Fallstudien betrachtet. Ihr „Prisma“ im letzten Studienjahr war das Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Entworfen von Hans Hollein ist dieses labyrinthartige Bauwerk, das vollständig in seine Umgebung eingebettet ist und sich aus ihr erhebt, mit seinen montageartigen Materialkombinationen, die Inhalte aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einrahmen, eine Ikone der postmodernen Museumsarchitektur. Um diese Untersuchungen zu befördern, leitete der Künstler Manuel Graf, der selbst zwischen Digitalem und Dreckigem agiert, mehrere Workshops und Seminare mit den Studierenden, in denen die tiefgreifenden Einflüsse der Fotografie auf dessen scheinbare Antithese – die Skulptur – analysiert wurden. Die zeitgenössische Kunst ist auf dessen Dokumentation angewiesen, um zu beweisen, dass etwas an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit tatsächlich stattgefunden hat. Doch hat die Fotografie nicht nur den Bedarf ersetzt, Kunst getreu abzubilden, sondern hat auch radikal verändert, wie Kunst konzipiert, geschaffen und wahrgenommen wird. Sie hat maßgeblich zur Stilbildung beigetragen (im Erkennen von Wechselwirkungen abseits von Zeit und Ort) und hat ein universelles Ende für alle Kunstaktivitäten geschaffen: das Bild.
– Post Brothers
EXHIBITION VIEWS
von Kai Werner Schmidt
In Kooperation mit:
Royal Danish Academy of Fine Arts
Mit freundlicher Unterstützung von:
Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf